←
|
„Lindauer Hängung“
bezeichnet
eine von dem Bildhauer Wolfgang Ueberhorst 2014 weiterentwickelte
Präsentationsform für Kunstwerke. Sie wurde zunächst konzipiert um
unterschiedliche Bildserien verschiedener Künstler auf kleinstem Raum gleichzeitig
vorstellen zu können und basiert auf einer von Demeco & Pasquale für das
Bonner S.Y.L.A.ntenheim und für die jeweiligen Jahresrücklicke 2013 und 2014,
den sogenannten "Nachsichten", vorgenommenen Hängung. Das
S.Y.L.A.ntenheim stellt prinzipiell jeder Person unendgeldlich für einen
Zeitraum von 14 Tagen seine Räume für Kunstaktionen zur Verfügung, dadurch
enthält ein Jahresrückblick eine Fülle der unterschiedlichsten
Kunstäußerungen, welche gleichzeitig in dem kleinen Galerieraum gezeigt werden
mußten. Demeco & Pasquale entschlossen sich, die zu präsentierende
Auswahl in abgeschlossenen, nebeneinander chronologisch angeordneten und auf
der Wand markierten Parzellen zu zeigen. Aufgrund der ungewöhnlichen
Darbietung wurde das S.Y.L.A.ntenheim auf die Stockholmer Independant Art
Fair "Supermarket" eingeladen. Angeregt von den TED-Balken in Fernsehabstimmungen, wurde das
Konzept von Demeco & Pasquale durch Wolfgang Ueberhorst für die
Präsentation von ganzen Bild-Serien weiterentwickelt und erstmals im Sommer
2016 auf der Lindauer Insel gezeigt. Mit humorvoller Anspielung auf die
bekannte Petersburger Hängung wurde diese neue Präsentation als
"Lindauer Hängung" bezeichnet. Es gelang nach diesem Konzept auf nur knapp 60 qm
Wandfläche 204 Kunstwerke zu zeigen. Die weiterentwickelte Vorstellung
orientiert sich nicht nur an Demeco & Pasquale und den TED-Balken,
sondern in erster Linie am Aufbau musikalischer Kompositionen. Sie erreicht
es, die Serien wie polyphone Stimmen gleichzeitig und interaktiv wahrnehmbar
werden zu lassen. Die Bildfolgen sind wie in einem Text bzw. einer Partitur
gehängt und erzeugen ein dem symphonischen Orchesterklang vergleichbares
Gesamtbild. Völlig neu bei dieser Hängung ist das "Springen" mit
einem oder mehreren Serienelementen aus der Serie des einen Künstlers in die
seriellen Abläufe eines anderen hinein. Das Ergebnis lässt an weite Lagen bei
Akkorden, ebenso aber an stimmliche Engführungen bei Fugen denken.
A.
E., 13. September 2016
***
Die
Serie: von seria, ursprünglich das Schwere, –
ein Uhrengewicht, ein schwerer, zysternenartiger Behälter – , auch das im übertragenen Sinne schwer
Gewichtige, das, was als schwerwiegendes Argument in die Waagschale geworfen
wird, das Ernstzunehmende, Seriöse, Spanisch seria – der Ernst, Italienisch sul serio – ernsthaft, im Ernst.
Ein
einzeln vorkommendes Ereignis hat für uns weniger Gewicht, wird nicht so
ernst genommen. Wir verlassen uns lieber auf die Reihe von gleichen
Ereignissen, ihre Wiederholung. Die Wiederholbarkeit birgt die
Verlässlichkeit in sich. Gleiches Ergebnis bei gleicher Ausgangsbedingung,
die wiederholbar eingetroffene Prognose erhärtet die These in der
Wissenschaft, verstärkt die von mal zu mal mehr sich bewährende Vorhersage.
17
Künstler und Künstlerinnen in dieser Ausstellung haben sich der Serie
verschrieben, beleuchten rundum, von allen Seiten ein künstlerisches Problem,
wandeln es ab, untersuchen es neu mit kleinen Änderungen oder kompletten
Gegenentwürfen.
Die
linksbündig in rhythmischen Zeilen
angebrachten Werke wollen gelesen werden, Nahsehen statt Fernsehen, statt
seichter Inhalte von Soapserien erscheinen durchgearbeitete Bildwelten, im
Einzelbeitrag wie auch in der Gesamtanordnung der Ausstellung. Unterstes wird
zu oberst gekehrt, hoch oben, „Fundamente“ (Sonja Klebe). Sie geben geistigen Halt in Schwarz und tief dunklem Rot,
aufgegriffen, abgewandelt weitergeführt von einer roten Sechserserie (Susan
Stadler), Acryl auf Alubondplatten, weitergeführt von Georg Cevales´ objects
trouvés, rohe Treibholzstücke aus dem Rhein, bemalt und in Hochglanzform
gebracht; sie treffen auf die „Rohlinge“ Ben Beyers, Untersuchungen der Farbe
Rot am rohen Fleisch und in expressiver bis fotorealistischer Malweise, gekonnt in Öl auf Holz vorgetragen. Über
allem schwebt hoch droben Christian Stefanovicis´ „Mama“ in ihrem Salto
rückwärts, „Papa“ foult derweil in der Fußballnationalmanschaft, die Kinder geigen … Meist stehen die Hände und deren Tun im Zentrum
der sieben kleinen Leinwände. Sie brechen Brot, falten einen Aluminium-Papier-Hut oder
walten über den Computer und bedienen das Lenkrad über dem nächtlichen
Armaturenbrett, allesamt sind sie
unterlegt mit auratisch weißen Feldern.
In
zweiter Reihe Pierluigi Guglielmo mit seiner Serie über cellule (Zellen) aus “ Tinta di carne“
(fleischfarben), die längste Reihe der Ausstellung und eine Annäherung und
Verarbeitung des frühen Todes seiner Musikerfreundin, der Komponistin Lindsay Cooper. Riesige
Abdrücke japanischer Tuschepinsel wandern als Zellen und Zellverbände wie in
einem histologischen Film über den aus 25 Einzelleinwänden bestehenden
Streifen. Meist hautfarben/rosa auf Weiß- oder Goldgrund, mitunter im Verband mit schwarzen Zellen, einmal komplementär, weiß
auf schwarz, wie das Komma in einer Textzeile oder türkis auf ovaler
Leinwand, welche am Ende, in
dreifacher Anordnung, selbst zu Zelle und Milieu gleichzeitig mutiert.
Eine
Zeile darunter Norbert Pümpels breiter, abstrakter Bilderfluß, zwölf
kleine, nahezu monochrome Formate, die
in rythmischer Abfolge von drei großen, Seelenlandschaften assoziierenden
Papierarbeiten, wie von drei
markierenden Paukenschlägen unterbrochen werden.
Über
Eck stößt Pümpels Arbeit auf die Photoserie von Thomas Hannappel, welche
zweifellos zu den bemerkenswertesten Arbeiten der Ausstellung und zu einem
der interessantesten bildnerischen Ansätze in der deutschen
Nachkriegsphotographie gehört. Das, was für den oberflächlichen Betrachter
wie eine aus vielen Bildteilen zusammengesetzte rätselhafte Collage
erscheinen mag, ist in Wahrheit eine einzige, völlig unbearbeitete Belichtung
eines tatsächlich gegebenen, hochkomplexen Raumes. Dankenswerterweise stellt
Hannappel der Serientäterausstellung fünf Objekte zur Verfügung, welche von
ihm nicht als autonome Skulpturen verstanden werden, sondern aus den
Requisiten zu seinen Bildern stammen und für das Verständnis seiner Serie
wichtig und hilfreich sind. Ihr Vorhandensein dient dem Betrachter zur
Orientierung, wenn die fortwährende Irritation seiner räumlichen Vorstellung
durch die Dimensionsverschiebungen von Drei- zu Zweidimensionalität, von Raum
zu Bild, noch gesteigert wird.
Wir
finden nicht eine ausschließlich im Photo erlebbare Wirklichkeit – ähnlich
der nur als Computeranimation erlebbaren virtuellen Realität – sondern wir
sehen das Photo einer tatsächlich im Außen erlebbaren Wirklichkeit von hoher
Komplexität. Der Wahrheitswert kehrt sich um, wenn wir plötzlich die
Stichsägespuren entlang einer „Bildkante“ entdecken, welche wir für den
Collagenschnitt einer Photomontage gehalten hatten. Unser in jahrelangem
Sehtraining von Photographien einseitig „geschultes“ Bewußtsein wird
wachgerüttelt. Das Wissen um die
Eigenständigkeit photographisch erzeugter Kunstwelten bricht ein
angesichts einer schlicht abphotographierten, zuvor aber realiter
geschaffenen eigenständigen Außenwelt. Diese Welt verschwindet nach dem
photographisch-dokumentarischen Akt und von ihr bleibt außer dem Bild nichts
übrig. Hannappels “ Welt“ ist nicht als Photo entstanden, nicht durch
dasselbe erst generiert worden; stattdessen tritt sie, physisch vorhanden,
gewissermaßen mit Lichtgeschwindigkeit in das Medium Photo ein und verschwindet,
existiert danach nur noch als Abbild, welches dadurch, daß das Abgebildete
selbst bereits entschwunden ist, zum
einzig autonomen Zeugnis und
gewissermaßen zum „Ereignis 2“ wird.
Dieses
„neue Reale“ bleibt als abgebildete Vergangenheit dauerhaft gegenwärtig; die
abgebildete Wirklichkeit wird zum allein verfügbaren Wahrheitswert über das
entschwundene Ereignis. Das nicht mehr zugängliche Ereignis wird so zur
verbrauchten Requisite seiner selbst. Die Welt generiert das Photo und
entschwindet. Damit wird die entschwundene Welt zur gestaltgebenden Kraft für
das photographische Bild – dieses wird erklärtermaßen zum alleinigen
Kunstwerk. Es überrascht keineswegs, daß Thomas Hannappel in brieflichem
Kontakt mit dem Philosophen Paul Virilio steht.
Neben
seiner „Ästhetik des Verschwindens“ hat Virilio auch über Bunkerarcheologie
geschrieben, ist die Atlantikküste entlang gewandert und hat die Bunkerreste
„archiviert“.
Es
ist einem glücklichen Umstand während einer stadtweiten Düsseldorfer
Großveranstaltung mit geöffneten Künstlerateliers zu verdanken, daß die
„Serientäter“- Ausstellung in unmittelbarer Nachbarschaft zu den
Photographien Hannappels auch die Aquarelle und Bunkerzeichnungen von Harald Ophüls zeigen kann. Nicht nur
der Bezug zu Virilio verbindet Hannappel gedanklich mit Ophüls, es ist auch
der Charakter des abgebildeten Fragmentarischen.
Ophüls
Bunkerbilder sind Mahnmale gegen den Größenwahn, versachlichende
künstlerische Dokumente des die Vergangenheit beschwörenden, jeweils
ausgewählten Bruchstückes, eines aus Stahlbeton synthetisierten,
„megalithischen“ Restes, der im Sande versinkend vor Himmel und Meer als
einziges Objekt den Bildinhalt bestimmt.
Eine
weitere Verbindung zu dem Gedanken an das Entschwinden, Verhallen und
Vergehen und ganz allgemein zu dem Gedanken an die Zeit – hier in
aristotelischem Gewand der Zeitpunkte
– drängt sich dem Betrachten der Hammerschlag – Serie
„Time“ und „Broken Moment“ (Pümpel) auf. Es handelt sich um eine der Aktions-
und Konzeptkunst zuzuordnende Serie, in welcher Pümpel die mikrotemporalen
Intervallfolgen des Schlagvorganges bewußt macht, wie auch den
historisierbaren zeitlichen Rahmen eines jeweiligen, genau dokumentierten
Hammerschlages, festhält und kommentiert.
Die
beiden zwischen Norbert Pümpels so extrem unterschiedlichen Serien
eingebetteten Reihen von Bertolt Mohr und Giso Westing haben den stärksten
haptischen Gehalt sämtlicher gezeigter Bildfolgen. Der dritte Düsseldorfer
Künstler, der Bildhauer Bertolt Mohr entdeckt eines Tages in einem Container
eine intakte, gerahmte Serie von
Alpenbildern und spachtelt mit weißer Kunststoffmasse direkt auf das Glas der
typischen Rahmen aus den 50er Jahren. Das Weiß gewinnt die Oberhand, mitunter
„schneit“ es auf dem Glas, Gletschermassen verschieben sich, die Idylle
erhält etwas Bedrohliches, die Grenze von Malerei zum Relief verschwimmt.
Auch
der Hannoveraner Maler Giso Westing, schon ganz in den Anfängen seiner sehr
eigenständigen Künstlerkarriere mit dem begehrten Villa Massimo Stipendium
ausgezeichnet, hat in seiner kleinen, sehr tiefgründigen, fünfteiligen Serie,
in welcher er die Farbe direkt aus der Tube auf die Leinwand drückt, eine
Verbindung von reliefartiger Plastizität und malerisch bildnerischer Tiefe
erreicht, die ihres Gleichen sucht. Zwar gibt es derzeit einen auf Messen und
in Ausstellungen zu beobachtenden Hype des extrem pastosen Farbauftrags, dieser Trend entbehrt aber häufig der
Nachvollziehbarkeit von bildnerischer Notwendigkeit. Er speist sich zumeist lediglich aus dem
Wunsch nach Andersartigkeit und entsteht nicht als Konsequenz aus der
geistigen Bildfindung. Bei Westing hingegen finden wir eine radikale
Weiterführung seines unerschütterlich fortgesetzten Malerweges, die
Quintessenz seiner Malererfahrung im kleinen, bewußt unspektakulär gewählten
Format. Er schenkt uns Bilder hoher Dichte, die fortwährend neue Geheimnisse
offenbarend, die Meßlatte für Malerei in aller Ruhe sehr weit oben anlegen.
Es verwundert nicht, daß Teile seines jüngsten Werkes in den letzten Jahren
durch namhafte Museen Europas gewandert sind.
Frauke
Morlots im Schaufensterbereich senkrecht angeordneter Bildstreifen zeigt
Hände berühmter Bildvorlagen von Alten Meistern aus Gothik und Renaissance,
welche sie als weiß gerahmte Stickereien auf weißem Leinen präsentiert. In
völlig anderer Art nähert sich Maria Ostriz dem Gedanken an Alte Meister.
Wesentliches Anliegen ihrer Malerei ist das Erschaffen einer Kostbarkeit. Mit
ungeheurer Ausdauer und geistiger
Präsenz schafft sie, über Monate konzentriert, collierartig angeordnete,
hängende Stillleben aus seltenen, exotischen oder auch hiesigen, saisonalen
Früchten. Mit der Detailschärfe eines hochauflösenden Monitors strahlen ihre
kleinen, zeitgenössischen Meisterwerke noch über große Distanz; sie können sich mühelos neben der großen Serie von Lukas Thein,
einem 18 teiligen Block einander vom Künstler genau zugeordneter
Papierarbeiten oder im Kontext der aus der Tradition der
Shaped-canvas-Malerei geborenen,
situativen Architekturimpressionen von Tobias Stutz behaupten, wo Ostriz´ „Kostbarkeiten“ den beseelten Innenraum zu dessen
radikalisierend nüchternen Außenansichten von Gebäudeteilen oder von Menschen
entleerten Lebenskulissen bilden.
Wolfgang
Ueberhorst, 19. September 2016
←
|
|